Hintergrundinformationen - "Der Ruf des Kondors"


Warum ein Chile-Roman?

1997 kam ich mit meiner Familie aus Chile zurück, wo wir drei Jahre in der Hauptstadt Santiago gelebt hatten. Schon nach kurzer Zeit hatten wir uns sehr gewundert über die vielen deutschen Spuren dort: So gab es eine Großbäckerei Fuchs und eine Wurstfabrik namens Winter, chilenische Familien trugen Nachnamen wie Rudloff, Behrens oder Timmermann, es gab ein schier unglaubliche Zahl an deutsch-chilenischen Institutionen, Vereinen und Deutschen Schulen.

files/AstridFritz/Bilder Hexe bis Kondor/RK-Llanquihue-See1941.JPGBei unserer ersten Fahrt in den Süden des Landes schließlich glaubten wir uns in Süddeutschland – und das lag nicht nur an der Landschaft (siehe Foto). In kleinen Orten mit Fachwerk-Architektur stießen wir auf Peters Kneipe, Cafe Landhaus oder Hotel Salzburg, wo es “kuchen” zu kaufen gab und nach Bohnerwachs roch. Ein Zugeständnis an den deutschen Tourismus konnte das nicht sein, denn Chile war noch immer eher ein Geheimtipp.

Meine Neugier war geweckt, und nach erster Recherche bin ich auf die Geschichte der deutschen Einwanderung vor 150 Jahren gestoßen. Nicht nur nach Nordamerika waren damals Tausende Deutscher aus wirtschaftlicher Not oder politischer Verfolgung ausgewandert, sondern eben auch in den Süden Chiles, der klimatisch sehr der einstigen Heimat ähnelt.


Das Recherche-Material

Eine Fülle von Material boten, neben Artikeln der deutschsprachigen chilenischen Wochenzeitung “Condor”, die Schriften im Archiv des Deutsch-Chilenischen Bundes in Santiago. Dort fand ich

- Tagebuchaufzeichnungen aus jener Zeit,
- Briefe,
- Berichte der “Allgemeinen Auswanderungszeitung”,
- Passagierlisten,
- Rezepte,
- praktische Überlebenshilfen,
- skurrile Anekdoten und vieles mehr.

Abgerundet wurden meine Recherchen durch die Schriften des Deutschen Schifffahrtsmuseums Bremerhaven (heute Auswanderermuseum).


Vom deutschen Einwanderer zum Deutsch-Chilenen

files/AstridFritz/Bilder Hexe bis Kondor/RK-Auswanderer.jpgDie Spanier hatten sich seit jeher lieber in Zentralchile angesiedelt, wo das trocken-heiße Klima und die Vegetation ihrer Urheimat entsprachen. Nun sollte der menschenleere Süden kolonisiert werden. Vor allem Handwerker und Bauern wollte die chilenische Regierung ins Land holen, um die Seenlandschaft am Fuße der Anden zu besiedeln - zu äußerst günstigen Bedingungen für die Siedler.

Nachdem bereits Jahrhunderte zuvor deutsche Gelehrte und Jesuiten dieses faszinierende Land bereist hatten und sich ab 1820 einige deutsche Kaufleute in den Städten niedergelassen hatten, strömten nun also zwischen 1850 und 1900 rund viertausend Kolonisten aus Deutschland in den grünen, regenreichen Süden, die meisten aus Hessen, Schlesien und Württemberg, in der Mehrzahl Familien und junge Leute.

Sie hatten alles hinter sich gelassen, hatten für ihren letzten Groschen eine mehrmonatige, lebensgefährliche Segelschifffahrt auf sich genommen – und fanden sich in einem einsamen, urwaldähnlichen Landstrich wieder, der erst von Grund auf und mit primitivsten Mitteln urbar gemacht werden musste.

Getreu dem Motto der Siebenbürger Sachsen: “Der ersten Generation der Tod, der zweiten die Not, der dritten das Brot” sind ihre Nachkommen, die sogenannten Deutsch-Chilenen, heute Lehrer, Ärzte, Beamte, Ingenieure und nicht selten Unternehmer. Die etwa 200.000 Deutschstämmigen und 80.000 Schweizstämmigen machen einen fest integrierten und auch wirtschaftlich bedeutsamen Bestandteil der chilenischen Gesellschaft aus. Wobei die heimatlichen Traditionen, auch dort, wo deutsch keine Muttersprache mehr ist, in vielen Bereichen liebevoll gepflegt werden.


Das Volk der Mapuche – die einstigen Herren des Landes

files/AstridFritz/Bilder Hexe bis Kondor/RK-Indios.pngZum einen ging es mir in meinem Roman um diesen Mikrokosmos von Menschen, die sich am andern Ende der Welt unter unglaublichen Mühen eine neue Heimat geschaffen haben. Und natürlich auch um die großartigen Landschaften – Chile liegt ja wie ein langer Spargel wischen den Hochanden und dem Pazifik, über eine Nord-Süd-Länge von 4300 km, was der Strecke (und den Klimazonen!) von Skandinavien nach Nordafrika entspricht.

Aber ebenso wichtig war mir zu zeigen, wem man dieses Land abgetrotzt hatte: dem Volk der Mapuche, das zahlenmäßig zur drittstärksten Indianerpopulation Südamerikas zählt. Anders als die übrigen Ureinwohner des amerikanischen Kontinents hatten sie den spanischen Konquistadoren erbitterten und auch erfolgreichen Widerstand geleistet bis weit ins 19. Jahrhundert.

Am Ende aber wurde ihre Lebensgrundlage durch genau diese Besiedelungspolitik zerstört. Heute verdingen sich die Nachkommen der einstmals so stolzen und traditionsbewussten Ureinwohner als Dienstboten in der Hauptstadt oder beackern unter armseligsten Bedingungen ein kleines Stückchen Land. Ihr Verhältnis zum heutigen chilenischen Staat ist durch Landrechtskonflikte nach wie vor spannungsgeladen, auch wenn es neuerdings in gewissem Umfang zu Landrückgaben kam.

Und ihr Widerstandsgeist ist nicht erloschen: In 2008 flammte der uralte Konflikt um die natürlichen Ressourcen Wald und Wasser erneut auf. Um die teils tausend Jahre alten Araukarienwälder vor der Verarbeitung zu Cellulose zu bewahren, besetzten Aktivisten Farmen und steckten Lastwagen von Holzfällern in Brand. Es kam zu Verletzten und einem Toten: Bei dem Versuch einer Farmbesetzung wurde ein 22-jähriger Student von der Polizei getötet.

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