Hintergrundinformationen - "Der Hexenjäger"


Aberglaube, Zauberei und Hexenwahn

files/AstridFritz/Bilder ab Hexenjaeger und Sera 5/Martino di Bartolomeo Wechselbalg anfang 15JH.JPGDie Missionare des frühen Christentums trafen in Mitteleuropa auf einen Volksglauben, der die Natur und verschiedene Gottheiten verehrte und nicht so leicht auszumerzen war. Was von den heidnischen Kulten nicht den christlichen Riten einverleibt werden konnte (wie etwa die germanischen Frühlings- und Fruchtbarkeitskulte, die im Osterfest aufgingen), wurde von der Kirche im besten Fall als Aberglauben abgetan, häufiger aber als Teufelsanbetung oder Zauberei, zu der auch das Wahrsagen gehörte.
Schon im frühen Mittelalter ging die römisch-katholische Kirche mal mehr, mal weniger konsequent gegen solche Art Zauberei vor, indem sie sich auf das zweite Buch Moses berief: „Die Zauberer sollst du nicht leben lassen“ (im lateinischen Originaltext ist übrigens noch nicht von „Zauberinnen“ die Rede, erst in der späteren Lutherübersetzung!). Allerdings wurde in der Regel nur bei realem Schaden gestraft (wie immer der auch ausgesehen haben mochte), zumeist mit Bußstrafen, seltener mit dem Tod. Auch waren noch überwiegend Männer angeklagt, was sich bei den späteren Hexenprozessen rasch ändern sollte.

files/AstridFritz/Bilder ab Hexenjaeger und Sera 5/Grien behexter stallknecht 1545.jpgDas gesamte Mittelalter hindurch war man davon überzeugt, dass es Zauberei gibt und mit ihrer Hilfe auch Schaden verübt werden kann – nicht nur im einfachen Volk, sondern auch unter Geistlichen und Gebildeten. Und für die gelehrten Magier und Alchemisten war das Spätmittelalter geradezu ein goldenes Zeitalter. Allerdings war der Glaube an Zauberei und Magie noch nicht mit dem Gedanken einer allumfassenden Hexenverschwörung verbunden, die angeblich das Christentum bedrohte. Dies war erst eine Folge der kirchlichen Inquisition (lat.: Untersuchung), die im 13. Jahrhundert gegen Ketzer und Glaubensabtrünnige einsetzte und bei der sich vor allem der Dominikanerorden hervortat. Die Inquisitoren gaben der Vorstellung von Zauberei eine besondere Richtung, nach der ein Schadenszauber nur mittels eines Teufelspakts praktiziert werden konnte. Zauberei und Ketzerei rückten nun enger zusammen, indem beidem die Elemente Teufelspakt, Flug durch die Lüfte und nächtliche Orgien unterstellt wurden.

Seit etwa 1440, seit dem Konzil von Basel (der Reformeifer bei den Konzilen hatte wie schon zuvor in Konstanz immer auch einen gewissen Fanatismus mit sich gebracht), begann sich unter den Geistlichen die Vorstellung einer Hexensekte und -verschwörung auszuprägen. Ihren Höhepunkt fand diese Vorstellung in der 1487 gedruckten Schrift „malleus maleficarum“ (Hexenhammer) des päpstlichen Inquisitors und Dominikanermönchs Heinrich Kramer. Darin werden erstmals alle fünf Hauptelemente jener neuen „Sekte“ ausführlich beschrieben, ja fast schon genüsslich ausgemalt: Teufelspakt und Teufelsbuhlschaft (Geschlechtsverkehr mit dem Teufel), Hexenflug, Hexensabbat und Schadenszauber.


Frühe Verfolgungswellen

Waren bis ins ausgehende 14. Jahrhundert Zauberei, Teufelspakt und Ketzerei noch voneinander getrennt und gab es bis dahin nur Einzelprozesse gegen Schadenszauber einerseits, Ketzerprozesse gegen Abtrünnige seitens der Inquisition andererseits, so wurde im 15. Jahrhundert die Saat gelegt für die späteren kollektiven Massenprozesse, bei denen ein konkreter Schaden gar keine Rolle mehr spielte. Es war nämlich eine neue Dimension hinzugekommen: Zauberer waren keine „Einzeltäter“ mehr, sondern standen untereinander sektenmäßig in Verbindung.

Unter Historikern ging man früher davon aus, dass sich die Hexenprozesse wie ein breiter Strom seit dem Spätmittelalter bis zum Beginn der Aufklärung dahinzogen. Mittlerweile aber weiß man, dass die Verfolgungen, die anfangs zu einem guten Teil noch von der kirchlichen Inquisition durchgeführt worden waren, bis etwa 1500 eher sporadisch und örtlich begrenzt auftraten, danach sogar über Jahrzehnte praktisch aussetzten. Ihren Höhepunkt fanden sie erst zwischen 1560 und 1660 – nun vor allem unter der Aufsicht weltlicher Gerichte, ganz, wie es sich der Verfasser des Hexenhammers gewünscht hatte.

files/AstridFritz/Bilder ab Hexenjaeger und Sera 5/Folter, Wickiana 1577.jpgSeinen Anfang nahm die Hexenjagd im Alpenraum, in dessen engen Tälern archaische Glaubensvorstellungen sicherlich lebendiger geblieben waren als etwa in den Städten. Schauplatz der ersten Prozesse um 1400 war das Simmental im Berner Oberland, unter dem Vogt Peter von Greyerz. Wenig später verschmolzen in den Gebieten rund um den Genfer See Ketzer- und Zauberprozesse im Rahmen der Waldenserverfolgung zu einem, dann setzten die Verfolgungen kurzzeitig aus. Bis zum oben erwähnten Basler Konzil: Die Berichte über die noch junge Hexensekte wurden weitergetragen, vor allem durch den Dominikanermönch Johannes Nider, dessen Schrift „Formicarius“ Heinrich Kramer maßgeblich beeinflusst hatte, und bald schon hörte man von Hexenprozessen in Heidelberg, Tübingen oder Biberach, ja selbst in Köln, Hamburg oder Metz.

Noch immer waren dies eher Einzelprozesse, noch immer gab es unter der Geistlichkeit, wie Heinrich Kramer später in seinem Hexenhammer beklagte, kritische Stimmen, die an der Existenz von Hexen zweifelten. Dann aber kam es zu einer ersten größeren Welle um 1480 in den Diözesen Basel, Brixen, Freising, Mainz, Regensburg, Speyer, Straßburg, Worms und Konstanz (mit Allgäu und Oberschwaben), darunter der berühmte Prozess unter Heinrich Kramer 1484 in Ravensburg. Insgesamt war es im Laufe des 15. Jahrhunderts zu über hundert Prozessen gekommen, vor allem in der Schweiz, dem deutschen Südwesten und den benachbarten Ländern der Voralpen.

Was indessen nur ein Vorgeschmack sein sollte zu den großen Verfolgungswellen zwischen 1560 und 1660, einer Zeit, in der die Hexenvorstellung im Volksglauben wie bei der weltlichen Obrigkeit tief verankert war. Mehr hierzu findet sich bei den Hintergrundinformationen zu meinem Roman „Die Hexe von Freiburg“.


Der Hexenjäger

files/AstridFritz/Bilder ab Hexenjaeger und Sera 5/Rathaus Schlettstadt 15. JH nach Dorlan.jpgHeinrich Kramer, der sich nach seinem Theologiestudium in Rom latinisiert Henricus Institoris nannte, wurde um 1430 im elsässischen Schlettstadt (Sélestat) geboren. Über seine Kindheit und Jugend weiß man wenig, man vermutet, dass er aus ärmlichen Verhältnissen stammt. Mit zehn oder elf Jahren besuchte er die berühmte Schlettstadter Lateinschule, mit etwa fünfzehn trat er ins dortige Predigerkloster ein, gehörte somit also dem Dominikanerorden an, und absolvierte ein philosophisches Grundstudium. Nach seiner Priesterweihe bot er sich 1458 in Straßburg als Beichtvater bei der Hinrichtung des Waldenserbischofs Friedrich Reiser an. Zwei Jahre später trat er seine erste Romreise an.

Kramer musste außergewöhnlich klug und ehrgeizig gewesen sein. Nicht nur, dass er in Rom bis hin zum Doktorgrad sein Studium vollendete und als Lektor im Schlettstadter Kloster lehrte – ihm wurde bereits mit 44 Jahren vom Papst erstmals die Befugnis zur Inquisition erteilt. Vier Jahre später wurde er zum Inquisitor für ganz Oberdeutschland ernannt, nochmals vier Jahre später, 1482, zum Prior des Schlettstadter Klosters. Zudem war er streng papsttreu und verfasste zahlreiche Traktate gegen Ketzer, Juden und Papstkritiker.

Andererseits wird er in Chroniken und Zeitzeugnissen immer wieder als streitsüchtig, fanatisch und rücksichtslos bezeichnet, als Täuscher, Fälscher und Ränkeschmied, seitens des Brixener Bischofs sogar als kindisch und wahnsinnig! In seinen wortgewaltigen Predigten schüchterte er die Menschen ein, säte Angst und Misstrauen. Dabei sah er tatsächlich das Weltende auf die Menschheit zukommen und witterte überall Feinde. Was er vom weiblichen Geschlecht hielt, wird in seinem Hauptwerk „malleus maleficarum“ überdeutlich.

Von der Welt unbeachtet, starb Kramer 1505 im Alter von 75 Jahren in Böhmen, wohin ihn der neue Papst Alexander VI. quasi strafversetzt hatte. Ein Bild von ihm gibt es, soweit ich weiß, leider nicht.


Ein unheilvolles, frauenverachtendes Pamphlet als Weltbestseller

files/AstridFritz/Bilder ab Hexenjaeger und Sera 5/Malleus_maleficarum,_Lyon_1669,_Titelseite.jpgWie die Reformation verdankte auch der aufkommende Hexenwahn seine Durchschlagskraft der Erfindung des Buchdrucks. Kramer lässt sein mehrere Hundert Seiten langes Traktat „Malleus maleficarum“ 1487 in Speyer bei dem Ratsherrn und Drucker Peter Drach verlegen, die dem eigentlichen Traktat vorangestellten Schriften enthalten höchstwahrscheinlich etliche gefälschte Aussagen.

Kramers Hauptanliegen war es, die unter Juristen und Geistlichen damals durchaus vorhandenen Zweifel an der Existenz der neuartigen Hexensekte auszuräumen, und so war die Reaktion auf sein Buch zunächst noch verhalten. Erst viel später, mit den Neuauflagen ab 1574, erfuhr der Hexenhammer eine Renaissance: Bis 1669 erschienen weitere sechzehn Auflagen, das Buch war zum Bestseller geworden, das in seiner Verbreitung nur noch von der Bibel übertroffen wurde. Die verheerende Vision des Schlettstadter Dominikanermönches hatte sich also erfüllt.
Seine Streitschrift für eine konsequente Verfolgung von Hexen stützt sich auf zahlreiche Quellen und kirchliche Autoritäten, die er aber neu wertet und ordnet. Alles, was er zu Hexen und Schadenszauber finden konnte, bringt er darin in ein scheinbar logisches System, das zum theoretischen Fundament für das Wiederaufflammen der Hexenverfolgungen wird.

Neu ist die einseitige Zuspitzung auf Frauen, auch wenn bereits Autoren vor ihm dem weiblichen Geschlecht einen stärkeren Hang zu Zauberei unterstellten. Bei Kramer werden die Schwäche der Frau und ihre angebliche Neigung zu sexuellen Ausschweifungen auf widerwärtige Weise zum Ausgangspunkt der Erörterungen. Eine solche ausgeprägte Frauenfeindlichkeit findet sich bei keinem seiner literarischen Vorgänger, auch nicht in der offiziellen Kirchenmeinung, für die sich Unholde und Zauberer aus beiden Geschlechtern rekrutieren. Neu ist ebenfalls, dass diese „Verbrechen“ nicht von der kirchlichen Inquisition, sondern von weltlichen Gerichten zu ahnden seien. Was sich denn auch erfüllte: Die praktischen Anweisungen zu Verhör und Folter im dritten Teil des Hexenhammers wurden zur Grundlage der gerichtlichen Untersuchungsmethoden.


Kramer und Sprenger – ein Autorenduo?

files/AstridFritz/Bilder ab Hexenjaeger und Sera 5/Rosenkranzbild sprenger.jpgNoch heute wird manchmal der Kölner Prior, Inquisitor und Ordensvorsteher der deutschen Dominikaner, Jakob Sprenger, als Mit-Autor des Hexenhammers genannt, wobei Sprengers Name erst nach dem Tod beider aufs Titelblatt kam. Doch die jüngste Forschung geht von nur einem Verfasser aus. Da Kramer viel Widerstand spürte, führte er einfach in den Vorworten und an einigen Textstellen seinen weitaus bekannteren Ordensbruder mit ins Feld, um sich mehr Autorität zu verschaffen – auch hierin zeigte sich Kramer als Meister der (betrügerischen) Selbstvermarktung.

Sprenger selbst gab an, er habe von der Abfassung des Buches keine Ahnung gehabt – er lehnte die Hexenverfolgung in dieser Form ab, wollte vielmehr Ketzer und Abtrünnige durch Marienanbetung und Rosenkranzgebet zurück in die Glaubensgemeinschaft holen. Obendrein war er ein entschiedener Gegner Kramers, dessen Gebaren er mehrfach durch Ordensstrafen und Maßregelungen im Zaum zu halten versuchte. Nach der Drucklegung des Buches dürfte Sprenger ziemlich befremdet gewesen sein, dass sein Name damit in Verbindung gebracht wurde.

In der Romanhandlung habe ich übrigens einige Zitate aus dem Hexenhammer benutzt, allerdings der Verständlichkeit halber auf Deutsch – als Geistlicher hatte Kramer stets auf Lateinisch geschrieben.


Die Rolle der Kirche

files/AstridFritz/Bilder ab Hexenjaeger und Sera 5/papst Innozenz.jpgBezeichnend für den Übergang vom heidnischen Aberglauben zum Hexenkult ist, dass fortan der Teufel mitwirkt – diese Vorstellung des Teufelspakts geht bereits auf den Kirchenlehrer Augustinus (4. Jahrhundert) zurück. Noch aber sah die Kirche Wahrsager und Zauberer zwar als Ketzer an, die es zu bekämpfen galt, lehnte aber eine systematische Verfolgung ab und drohte stattdessen mit schweren Kirchenbußen (in ihren kirchenrechtlichen Vorschriften des „Canon episcopi“ aus dem 10. Jahrhundert, den ich auch im Roman erwähne, tat sie den nächtlichen Hexenflug noch als Wahnvorstellung ab).

Zusammenfassend ließe sich sagen: Da der Volksaberglaube niemals unterdrückt werden konnte, wurde er von der Kirche erst instrumentalisiert (nach dem Motto: Was ihr bei euren heidnischen Kulten sucht, das findet ihr alles auch bei uns), dann dämonisiert. Erst recht, nachdem Augustinus‘ Behauptung, Frauen seien anfälliger für den Teufelspakt, da verführbarer und geistig minderbemittelt, im Spätmittelalter beim Klerus eine Renaissance erfuhr, trotz vorangegangener höfischer Minne und dem Aufstieg der Zünfte mit berufstätigen Frauen.

Die römisch-katholische Kirche als Institution hat in ihrem damaligen Kampf gegen Ketzer zwar diese entsetzliche Verbrechen mit zu verantworten, doch es waren vor allem einzelne Männer, die den Brand entfachten – allen voran der Dominikanermönch Heinrich Kramer sowie Papst Innozenz VIII. (1432 – 1492), der die Inquisition in Richtung Hexenjagd entscheidend vorangetrieben hatte. Aber es gab unter den Geistlichen (und den Dominikanern) auch immer schon Gegner. So waren es vor allem Vertreter der katholischen Kirche, die sich dem kollektiven Hexenwahn in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entgegenstemmten.


Die Rolle der Dominikaner

files/AstridFritz/Bilder ab Hexenjaeger und Sera 5/Dominikus von Fra_Angelico um 1440.jpgUnbestritten ist die aktive Mitwirkung des Dominikaner- oder auch Predigerordens, der in der Regel die Inquisitoren stellte. Als domini canes, Hunde des Herrn, bezeichnete der Volksmund die Ordensbrüder, die in der Regel hoch gebildet und hervorragende Rhetoriker waren. Im Jahr 2000 veröffentlichte das Provinzkapitel der (deutschen) Dominikanerprovinz Teutonia folgende Erklärung:

„Deutsche Dominikaner waren nicht nur in die Inquisition verstrickt, sondern haben sich aktiv und umfangreich an ihr beteiligt. (…) Wir empfinden dies als ein dunkles und bedrückendes Kapitel unserer Geschichte. Dies gilt in gleicher Weise für die nachgewiesene Beteiligung des deutschen Dominikaners Heinrich Institoris an der Hexenverfolgung. Durch das Verfassen des ‚Hexenhammers‘ (Malleus Maleficarum) unterstützte und förderte er die menschenverachtende Praxis der Hexenverfolgung. Folter, Verstümmelung und Tötung haben unendliches Leid über zahllose Menschen gebracht; deutsche Dominikaner haben dazu, neben anderen, die Voraussetzung geschaffen. Die Geschichte dieser Opfer – namenlos und vergessen – können wir nicht ungeschehen machen. (…) Uns bleibt die Verpflichtung zur Erinnerung. Wir wissen, dass der Geist von Inquisition und Hexenverfolgung – Diskriminierung, Ausgrenzung und Vernichtung Andersdenkender – auch heute latent oder offen in Kirche und Gesellschaft, unter Christen und Nicht-Christen lebendig ist. Dem entgegenzutreten und sich für eine umfassende Respektierung der Rechte aller Menschen einzusetzen, ist unsere Verpflichtung, die wir Dominikaner den Opfern von Inquisition und Hexenverfolgung schulden.“
Nachzulesen auf Wikipedia unter
https://de.wikipedia.org/wiki/Inquisition#Dominikaner_und_Inquisition_heute


Sexualität und Frauenfeindlichkeit

files/AstridFritz/Bilder ab Hexenjaeger und Sera 5/Badhaus Illustration Handschrift um 1470.jpgDen Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit markiert auch eine veränderte Einstellung zur Sexualität und in der Folge auch zur Frau. Das Mittelalter selbst war noch recht freizügig, wie die Texte des Minnesangs oder die Buchminiaturen aus dem 13. und 14. Jahrhundert mit ihren Darstellungen von Nacktheit und Liebespaaren zeigen, ja es sind sogar frivole Randzeichnungen in Psalm-Büchern von Mönchen erhalten. Und in etlichen Bußbüchern von Priestern, in denen die Strafen auf die vermeintlichen Sünden aufgelistet waren, finden sich zahlreiche detaillierte, ja deftige Beschreibungen von Liebespraktiken, darunter so ziemlich alles, was heute mehr oder minder öffentlich zur Sprache kommt. Auch in den Klöstern fand Sexualität statt, nicht nur unter den Mönchen, auch zwischen Mönchen und Nonnen (der geile Mönch war seit dem Hochmittelalter ein beliebtes Motiv in der Volksliteratur). Homosexualität, damals „Sodomie“ genannt, war natürlich ebenso verbreitet wie heute (Leonardo da Vinci soll männliche Prostituierte aufgesucht haben), wurde damals aber (noch!) nicht anders bestraft als alle andere Varianten der „normalen“ Missionarsstellung. Und illegitime Kinder waren durchaus anerkannt, auch wenn sie kein Erbrecht hatten. So war der Dichter Boccaccio der uneheliche Sohn eines Kaufmanns, da Vinci der eines Notars und Erasmus von Rotterdam der eines Priesters.

Die erotisch aufgeladene Kultur der Badehäuser wie auch die Verbreitung städtischer Hurenhäuser hatte ihren Höhepunkt dann im 15. Jahrhundert, also im Spätmittelalter. Der Bruch zu Anfang des 16. Jahrhunderts erfolgte mit Reformation und Gegenreformation, womöglich auch mit dem Aufkommen der Syphilis: Bordelle und Badehäuser wurden nach und nach geschlossen, Prostitution und Ehebruch verboten, Homosexualität zur Todsünde erklärt, uneheliche Kinder wurden nicht mehr in die Zünfte aufgenommen. Zeitgleich mit den weltlichen Verboten setzte die Kirche ihre lustfeindlichen Dogmen durch, ja dämonisierte die Sexualität. Und als auslösendes Moment der Erotik wurde die Frau gebrandmarkt, als Nachfolgerin der Erz-Sünderin Eva. Da mag einem der Gedanke kommen: Was die Geistlichen nicht ausleben durften, mussten sie als ewige Versuchung hassen.

So wurde das 16. Jahrhundert schließlich zum Zeitalter der „neuen Sittlichkeit“ und der restriktiven Sexualität: Was vorher mehr oder weniger toleriert wurde, wurde jetzt streng bestraft. Seitens der Kirche wurde die Rolle der Ehe, als einzigem Ort der Fortpflanzung, enorm erhöht – immerhin als freiwillige Partnerschaft, zu der beide Brautleute zustimmen sollten.

In meinem Roman spielt es eine wichtige Rolle, dass Susanna in ihrer Ehe nicht schwanger wird – ein wahres Stigma, aber bezeichnenderweise nur für die Frau. Ob ihr Kaufmannsgatte Simon nun homosexuell, impotent oder asexuell ist, lasse ich bewusst offen, da solcherlei Veranlagungen damals im Verborgenen blieben und es für meine weitere Romanhandlung auch keine Rolle gespielt hätte.


Historisches und Fiktives

files/AstridFritz/Bilder Hexe bis Kondor/HF-Hexenverfolgung1.JPGSchon bei den Recherchen zu meinem Erstling „Die Hexe von Freiburg“ ist mir Heinrich Kramer untergekommen, der mit seinem „Hexenhammer“ Jahrzehnte vor dem Höhepunkt der Hexenverfolgung die verhängnisvolle Saat zu diesem verbrecherischen Wahn gelegt hat. In meinem Roman „Der Hexenjäger“ nun gehe ich zurück an die Anfänge dieses Wahns, der dann in der Frühen Neuzeit so massenhaft Opfer gefordert hatte: Die heutige Forschung schätzt die Zahl der Hinrichtungen zwischen 1400 und 1800 auf mindestens 70.000, davon etwa 40.000 in den deutschen Gebieten.

Zugleich mache ich mich auf Spurensuche nach der Psyche dieses Brandstifters in Diensten der katholischen Kirche, gespiegelt im Schicksal einer jungen Frau. Nach allem, was ich über Heinrich Kramer in Erfahrung bringen konnte, habe ich versucht, ihm ein Gesicht und eine Biographie zu geben, ohne ihn als reinen Schurken darzustellen. Allein die Lektüre seines „Hexenhammers“ (ich hatte die Neuübersetzung ins Deutsche von Wolfgang Behringer, Günter Jerouschek und Werner Tschacher benutzt, siehe Literatur) lässt tiefe Einblicke in das Wesen dieses Menschen zu …

Auch die anderen historischen Personen habe ich sorgfältig recherchiert, ebenso wie die politischen Zeitläufe, die Schauplätze oder das europäische Handelswesen jener Zeit. Meine Protagonistin Susanna hingegen ist fiktiv – sie steht stellvertretend für alle Frauen (und es waren vorwiegend Frauen), die diesen Verbrechen zum Opfer fielen oder zu fallen drohten. Von der Annahme, dass vor allem heilkundige oder äußerlich auffallende Frauen zu den Opfern zählten, hat sich die Forschung nämlich längst verabschiedet.

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